Hautgout (oːˈguː, von frz. haut goût, wörtl. „Hoher Geschmack“)

„Das Begehren nach Statusanerkennung verlagert sich auf die immaterielle Seite“, sagt der Medientheoretiker Norbert Bolz. Weshalb man den Luxus des 21. Jahrhunderts „auf der Ebene des Zerebralkonsums“ suchen müsse, wo sich der Akademiker ohnehin am wohlsten fühlt. Dazu passen Umfragen von Allensbach, nach denen Menschen außer für die Einrichtung ihrer Wohnung vor allem für Ernährung und Reisen Geld ausgeben und bekunden, dass ihnen Dinge wichtig sind, die für Geld nicht zu haben sind: Zeit, Fitness, schöne Erlebnisse mit Freunden. Im postmodernen Statuskonsum verschränken sich materielle mit immateriellen Wünschen und Idealen. Deshalb werden die Dinge über ihren Gebrauchswert hinaus mit Erlebnissen, Gefühlen und Werten aufgeladen.

Der an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder lehrende Kultursoziologe Andreas Reckwitz hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ deren Porträt gezeichnet, das Bild einer Klasse von begabten Nonkonformisten, die um Anderssein bemüht sind, um es mit anderen aus ihrer Peergroup zu teilen. Vor allem Design und Produktimage werden wichtig, wenn die Biografie zum Stilprojekt avanciert: Man sucht sein Heil in der Ausgestaltung seiner Existenz mit besonderen, unverwechselbaren Dingen und Erlebnissen. Weshalb man bei der Abendeinladung vom Besuch bei einem jungen, genialischen Moselwinzer schwärmt oder von der Vintage-Fotografie aus den Dreißigerjahren, die man in einer kleinen, feinen Berliner Galerie erworben hat.

Im „Modus der Singularisierung“, so Reckwitz, wird das Leben „nicht einfach gelebt“, nein, es wird komponiert und „kuratiert“: Das kreative Subjekt stellt seinen Konsum aus Versatzstücken virtuos zusammen, von der Garderobe bis zum nächsten Reiseziel. Man „kauft“ sich nicht „glücklich“, sondern wählt Dinge aus, die einen „kulturellen Mehrwert“ haben, gibt sich antikonventionell, sucht nach Konsum-Arrangements, die eine persönliche Handschrift verraten.

Daher das Spiel mit Stilbrechungen: So wird im Wohnzimmer der Bauhausklassiker vor Sichtbeton oder nackte Ziegel gestellt (Tapeten nur handbemalt) und mit dem Torso einer Maske kombiniert, die man als Souvenir von einer Neuguinea-Reise mitgebracht hat (bloß kein Massentourismus). Am Wochenende wechselt das Kickboxtraining mit dem Achtsamkeits-Kurs. Und im Kurzurlaub in Kapstadt steht neben dem Besuch des Zeitz Museum of Contemporary Art Africa eine Township-Tour auf dem Sightseeing-Programm. Eine Konsumstrategie, die sich doppelt auszahlt: nach „innen“ für den Konsumenten, der sich bereichert fühlt, nach „außen“ für Freunde und Bekannte (auch die in den sozialen Netzwerken), bei denen der Konsumvirtuose lässig punktet und lächelnd die „Was du alles machst“-Blicke einheimst (gern in Form von Foto-Postings, die ihn beim Rafting in den Rocky Mountains zeigen).

Dabei müssen die Konsumdinge der neubürgerlichen Mittelklasse nicht einzigartig sein oder teuer, sondern originell inszeniert. Dann hat das schräge Vintage-Stück vom Flohmarkt auf dem Jan-Kath-Teppich Platz, und die wurmstichigen Bioäpfel vom Odenwaldbauern ruhen geschmackvoll auf der Siematic-Arbeitsplatte aus Schiefer. Ausgesuchte, meist luxuriöse Konsumgüter, die der Statusskepsis der neuen Mittelklasse nicht widersprechen. Sie pflegt, wie Reckwitz sagt, einen „materialistisch grundierten Postmaterialismus“, der beträchtliche Statusinvestitionen erfordert: Man schätzt Einfachheit, egal, was es kostet, setzt seinen Ehrgeiz in Erlebnisse und Erfahrungen auch jenseits von Besitz. Kurz, man sucht kulturelles statt materielles Kapital, möchte zur Wissens- statt zur Geldelite gehören.

(aus WiWo vom 13.02.2018)